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27.04.2021 - "Wir halten fest zusammen!"


Mehr als ein Jahr Corona, mehr als 365 Tage, in denen sich alles für die Bewohnerinnen und Bewohner des Einrichtungsverbundes Steinhöring (EVS) änderte.
Ein Gespräch mit der Bewohnervertreterin und den Bewohnervertretern des EVS, Renate Hauser, Dominik Schindlböck und David Kruzolka über einschneidende Entbehrungen, gewachsenes Gemeinschaftsgefühl und steigende Sehnsucht nach Freunden und Familie.

David Kruzolka würde gerne wieder wöchentlich in der Werkstatt arbeiten. Seit mehr als einem Jahr herrscht in der Ausweichwerkstatt Wechselbetrieb. Fotos: EVS/KJF
 
Ein Jahr Corona – empfinden Sie die vergangenen Monate als Zumutung, oder verbinden Sie auch etwas Positives mit der Pandemie?
David Kruzolka: Natürlich war die lange Zeit eine Zumutung, aber wir wussten, dass die Maßnahmen nötig sind. Denn wenn du Corona hast und die Krankheit in die Gruppe bringst, machst du dir unendlich Vorwürfe. So denken alle BewohnerInnen. Wir sind ein Team, das auch in schweren Tagen zusammenhält und das finde ich toll, weil jeder für jeden einsteht. 

Sie leben zusammen in einer Wohngruppe und verbringen aufgrund der Beschränkungen viel Zeit miteinander. Das klingt auch ein wenig anstrengend.
Renate Hauser: Ja, das stimmt. Zumal ich mich auch erst einmal an acht Mitbewohner gewöhnen musste. Vor Corona war ich kein Mitglied der Wohngruppe, sondern habe extern in einer Wohnung gelebt. Aber da David mein Freund ist, durfte ich in seiner Gruppe einziehen. 
David Kruzolka: Am anstrengendsten war für mich, als ich im Herbst einen Schnupfen hatte, zum Testen musste und mit meiner Freundin vier Tage in Zimmerquarantäne war. Die Tage sind unglaublich lange, wenn man sich nur mit Fernsehen oder am Computer ablenken kann. Aber besser Schnupfen als Corona!
Dominik Schindlböck: Natürlich ist es traurig, wenn man seine Freunde nicht sehen kann. Vor Corona habe ich in der Industrie und Fertigung gearbeitet, nun bin ich in der Holzverarbeitung und sehe meine KollegInnen nicht mehr, weil wir als Wohngruppe zusammen in einem Bereich arbeiten müssen. Aber wir halten fest zusammen.
 

Dominik Schindlböck arbeitet normalerweise in der Industrie und Fertigung. Seit Corona stellt er gemeinsam mit seinen MitbewohnerInnen Ofenanzünder her.
 
Zwischen März und Juni 2020 waren die Werkstätten drei Monate geschlossen. Wie war das für Sie?
David Kruzolka: Ich erinnere mich genau: Am letzten Tag der Öffnung, das war der 16. März, bin ich heulend aus der Werkstatt gegangen. Wir wussten ja alle nicht, wie es weitergeht. Und ohne Arbeit macht der Alltag keinen Spaß!
Dominik Schindlböck: Es waren sehr langweilige Wochen. Wir konnten spazieren gehen, viel mehr ging nicht. Später sind wir mit dem Bus ein wenig in der Gegend herumgefahren und es wurden ein paar kleinere Aktivitäten organisiert. 

Seit Sommer ist das Arbeiten in den Werkstätten wieder wochenweise möglich. Freuen Sie sich?
Renate Hauser: Ja schon. Gerade stellen wir Ofenanzünder her aus Klopapierrollen und Holzteilen. Mir macht das Spaß. Aber eigentlich habe ich einen externen Arbeitsplatz und arbeite drei Tage die Woche in einem Regelkindergarten. Dort bin ich wegen Corona seit März 2020 nicht mehr gewesen. Ich vermisse die Kinder sehr und sie fragen auch nach mir.
David Kruzolka: Der Wunsch von vielen wäre, wieder jede Woche arbeiten zu können. In der Woche, in der ich nicht arbeite, ist es fade. Das Problem ist auch: Wir arbeiten nur 50 Prozent. Momentan kriegen wir zwar noch volle Bezahlung, dafür setzt sich auch Gerti (Anm. d. Red. * Dr. Gertrud Hanslmeier-Prockl) ein und führt mit dem Bezirk Verhandlungen, aber ewig wird das mit der Bezahlung so auch nicht weitergehen.
Dominik Schindlböck: Mir gefällt das Arbeiten auch, obwohl ich seit Corona nicht mehr in dem Bereich arbeite, in dem ich früher tätig war. 

Durften Sie während der Pandemie Ihre Familien sehen?
David Kruzolka: Im ersten Lockdown durfte uns niemand besuchen. Danach gab es einen Besuchsraum in der Mehrzweckhalle. Da stand ein Betreuer, ähnlich wie ein Aufseher im Gefängnis und hat geschaut, dass man sich nicht zu nahe kommt.
Dominik Schindlböck: Im Sommer durften wir mit unseren Angehörigen spazierengehen. Und die Testungen begannen. Tagsüber konnte man nach Hause fahren, musste aber abends wieder zurück sein. Aufgrund des Wohnortes der Familien ging das natürlich nur bei wenigen. Hart war es für viele von uns an Weihnachten. Am 21.12. hat uns ein Betreuer erklärt, dass es die 7-Tage-Regel gibt, d.h. man sieben Tage nach Hause fahren muss, damit das mit dem Testen und der anschließenden Quaranäne funktioniert. Schnelltests waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht erlaubt. 
Renate Hauser: Deshalb konnte ich Weihnachten nicht zuhause feiern. Sieben Tage plus Quarantänezeit waren für meine Angehörigen nicht möglich. Für mich als Familienmensch war es ganz schlimm, dass ich an Weihnachten nicht zuhause feiern konnte, sondern hier in Steinhöring sein musste. 
 

Renate Hauser vermisst "ihre" Kinder im Kindergarten, in dem sie seit Pandemiebeginn nicht tätig sein kann. Aber auch die Herstellung von Ofenanzündern macht ihr Freude. 
 
Vor Kurzem hat das Impfen bei Ihnen in Steinhöring begonnen. Sind Sie erleichtert?
David Kruzolka: Ich war am Anfang ein wenig skeptisch und habe viel mit meinem Betreuer diskutiert. Eigentlich wollte ich mich nicht impfen lassen. Dann hat er zu mir gesagt, ob ich lieber auf der Intensivstation landen will. Jetzt bin ich mir sicher: Lieber eine Impfung und ein paar Nebenwirkungen, anstatt sich mit Corona anzustecken. 
Dominik Schindlböck: Ich lasse mich auch impfen. Meine Mama hat das entschieden und als sie das Formular des EVS bekommen hat, sofort gesagt, das sei das Beste für mich. 
Renate Hauser: Ich habe mit meinem Bruder geredet, der schon geimpft wurde. Ihm geht es gut und er hatte auch keine Nebenwirkungen. Ich bin froh, wenn ich und andere geimpft sind, dann kann man auch wieder mehr machen. 

Welche Wünsche haben Sie für das weitere Jahr 2021?
Renate Hauser: Ich möchte sehr gerne wieder zurück in den Kindergarten. Außerdem ist geplant, dass ich in eine externe Wohngruppe ziehe. Ich habe früher schon alleine gewohnt. Außerdem möchte ich sobald es geht wieder nach Hause fahren zu meiner Mama und meiner Oma und meine Freunde wieder treffen.
Dominik Schindlböck: Ich möchte wieder in meine Werkstatt zurück und meine dortigen Freunde wiedersehen. Ich habe zwar Kontakt via Whatsapp, aber das ist nicht dasselbe.
David Kruzolka: Ich hoffe, dass die Zahlen wieder runtergehen und wir hier keine schweren Fälle haben und keiner verstirbt. Unsere Wohngruppe ist vom Alter her sehr gemischt, deshalb ist es mir wichtig, dass man aufeinander aufpasst. 

Fühlen Sie sich als Menschen mit Behinderung in der Pandemie von Politik und Gesellschaft wahrgenommen? 
David Kruzolka: Ehrlich gesagt zu wenig. Man sprach vor allem über die Altenheime. Uns als Bewohnervertreter ist es wichtig, dass die Politik auch einmal hört, wie es uns geht. Wir fühlen uns isoliert und in unserer hart erkämpften Teilhabe sehr eingeschränkt. Ich hoffe sehr, dass wir bald wieder mehr Bewegungsfreiheit genießen können, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. 

Das Gespräch führte Angelika Slagman.

Eine Chronologie der Ereignisse im ersten Jahr der Pandemie am Standort Steinhöring lesen Sie hier: Balance-Akt zwischen Infektionsschutz und Teilhabe.