zurück zur Übersicht

16.01.2023 - Inklusive Band im EVS: Mit dem roten Motorrad durchs Leben rocken (mit Videos)


Vor 30 Jahre gründete Franz Wallner, langjähriger Betreuer im Einrichtungsverbund Steinhöring (EVS), gemeinsam mit zwei Betreuten eine inklusive Alpenrock-Band. Dort musizieren Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen zusammen. Besuch einer Bandprobe.

Die inklusive EVS-Band "Das rote Motorrad" und ihre "Crew" (hintere Reihe von links): Alfred, Caro, Reinhard, Reinhard, ein ehrenamtlicher EVS-Mitarbeiter, Schorsch, Tobi, Heinzi, Thomas, der Vater von Robin und zuständig für Logistik, Transport und Organisation, und Betreuer Franz Wallner. Im Vordergrund: Robin und Julian. Alle Fotos und Videos: Gabriele Heigl / KJF
Als erstes fällt einem der hochgewachsene junge Mann auf. Das liegt nicht nur an seiner Größe, sondern vor allem an seinem prächtigen schwarzen Zylinder auf dem Kopf. Er wird ihn während der gesamten Bandprobe, bei der es manches Mal musikalisch hoch hergeht, nicht ablegen. Passt so ein Zylinder zu einer Band mit dem Namen "Das rote Motorrad"? Aber klar doch! Mindestens so gut wie die Pandamaske zu Cro oder der Schlapphut zu Udo Lindenberg. Robin heißt der junge Zylindermann und hält - kaum dass er den Probenraum betreten hat - seine Gitarre in den Händen, um die ersten Akkorde anzuschlagen. 

Hält mit unerschütterlicher Coolness den richtigen Rhythmus: Heinzi am Schlagzeug.
 

Akkordsicherer Zylindermann: Robin trägt unter der Jacke ein Guns N' Roses-T-Shirt. Er ist ein heißer Fan von Slash, des Gitarristen der Band.
Wolfgang Fiereks "Resi, i hol di mit mei'm Traktor ab"
 
"Hey, hey, Wicki, hey"
"Wir singen lalalala ..."
 
Peter Cornelius' "Du entschuldige, i kenn di"
Vor 30 Jahren gegründet

Auf Einladung von Franz Wallner, dem langjährigen Mitarbeiter des Einrichtungsverbunds Steinhöring (EVS) und Band-Initiator, darf ich bei einer Bandprobe dabei sein. Man trifft sich in einem Kellerraum des XX-Gebäudes. "Dort stören wir die Bewohner am wenigsten", meint er. Der Raum ist eigentlich zu klein für zwölf Leute, davon der Großteil mit raumgreifenden Instrumenten. Gitarren hängen an den Wänden, ein Keyboard drückt sich in die Ecke. Aber das stört niemanden. Robin und alle seine BandkollegInnen freuen sich sehr über den Besuch und wollen zeigen, was sie können.

Und dann legen sie auch schon los: Neben Gitarrist Robin (Gitarre) noch Schorsch (Gitarre, Percussion, Mundharmonika), Reinhard (Djembe), Heinzi (Schlagzeug), Tobi (Frontmann, Voice, Percussion, Panflöte, Keyboard, Akkordeon), Julian (Voice), Caro (Conga), Alfred (Bassgitarre, Ziach, Keyboard, Posaune, Trompete, Flügelhorn, zweite Stimme), Reinhard, ein ehrenamtlicher EVS-Mitarbeiter (Gitarre), und Franz Wallner (Gitarre). Ihr Repertoire ist klassischer Alpenrock. Schlag auf Schlag geht es mit "Sierra Madre" von Schürzenjäger und "Du entschuldige, i kenn di" von Peter Cornelius über "Hey, hey, Wickie" von Christian Bruhns bis hin zu VoXXclubs "Rock mi". Natürlich fehlt auch Drafi Deutschers "Marmor, Stein und Eisen bricht" nicht. Und Wolfgang Fiereks Resi wird - rotes Motorrad hin oder her - wieder mal mit dem Traktor abgeholt. Alle haben einen Riesenspaß.

Die Bandmitglieder wohnen bis auf Betreuer Franz Wallner alle im Einrichtungsverbund Steinhöring, teils schon seit vielen Jahren. Alfred (59) und Schorsch (68) gründeten bereits im Jahr 1992 zusammen mit dem Erzieher Franz Wallner die Band, die sich damals noch "Stonemade" nannte, wohl ein Anklang auf den Standort Steinhöring. Irgendwann änderte Alfred ihn in "Das rote Motorrad". Woher der Name kommt, kann heute keiner mehr mit Gewissheit sagen. In Hebertshausen im Kreis Dachau gibt es aber eine inklusive Band mit dem Namen "Das grüne Klapprad", wie Franz Wallner zu erzählen weiß. Also dachten sich die Steinhöringer vielleicht, dass ein paar PS mehr nicht schaden könnten.

Sänger Tobi (im blauen Pulli) spielt auch die Panflöte.
 

Caro (rechts) trommelt an der Conga. Im Hintergrund von links: Instrumental-Allrounder Alfred am Bass, Franz Wallner und Reinhard an den Gitarren.
Es geht ums Mitmachen

Beim gemeinsamen Musikmachen sind die kognitiven Beeinträchtigungen der Bandmitglieder kein Hindernis. Eher das Gegenteil ist der Fall. Selbstbewusst und stolz spielen sie ihr Instrumente und trauen sich was, auch wenn sie nicht perfekt sind. Jede und jeder darf sich einbringen. So wie Schorsch, der seine neue Gitarre über alles liebt, aber (noch) Probleme mit den Harmonien hat. Trotzdem bekommt er sein Solo in einem Stück, in das seine Impros gut passen. Mit Feuereifer und strahlendem Gesicht schlägt er die Saiten. Franz Wallner lacht: "Schorschs Gitarre muss man nie stimmen." Als Sozialpädagoge und langjähriger Bandmusiker hat er die Band seit ihrer Gründung begleitet: "Es geht ums Dabeisein, ums Mitmachen." 

Aber die Bandmitglieder nehmen ihre Musik auch ernst. Schlagzeuger Heinzi gibt mit konzentriertem Pokerface taktsicher und zuverlässig den anderen den Rhythmus vor. An ihm können sich alle orientieren. Und dann ist da natürlich Tobi, der Frontmann. Er singt leidenschaftlich mit rockiger Stimme und melodiesicher. Immer wieder sorgt er mit viel Fröhlichkeit dafür, dass auch die anderen zu ihren Soli kommen und gibt die Einsätze. Und offensichtlich liebt Tobi Lovesongs. "Er ist bei uns für die Schmalzabteilung zuständig", meint Rocker Alfred augenzwinkernd. Mit großem Vergnügen tritt die Band auf der Bühne auf, mit gecoverten Songs und sogar mit eigenen Stücken. Schorsch strahlend: "Ich habe vor vielen Jahren schon Blues geschrieben."

Für Musik ist Platz im kleinsten Probenraum: In diesem Kellerraum im Wohnhaus des EVS in Steinhöring trifft sich die Band regelmäßig zum Üben.
Vor Auftritten übt die Band alle 14 Tage, öfter geht es nicht, weil Franz Wallner einen weiten Anfahrtsweg hat. Aber einzelne Musiker haben schon ohne ihn geübt, einmal sogar sechs Stunden am Stück. Wenn das nicht Liebe zur Musik ist? Zum Abschluss der Probe stimmt die Band einen ihrer Lieblingssongs an, Volker Lechtenbrinks Klassiker "Leben, so wie ich es mag". Und Tobi singt mit kraftvoller Stimme:

Leben so wie ich es mag
Leben spüren Tag für Tag
Das heißt immer wieder fragen
Das heißt wagen, nicht nur klagen
Leben so wie ich es mag
Das heißt nicht nur alles schlucken
Leben so wie ich es mag

 
Die Band ist buchbar unter f.wallner@kjf-muenchen.de.

Text: Gabriele Heigl, KJF-Pressesprecherin
 

2021 erhielt die inklusive Band den Ebersberger Kulturpreis "Grüner Wanninger".

Die Landtagsabgeordnete Doris Rauscher (SPD) überreichte Franz Wallner den Bayerischen Verfassungsorden. Foto: privat
 
Franz Wallner erhält den Bayerischen Verfassungsorden

Im Dezember 2022 wurde Franz Wallner im Bayerischen Landtag mit dem Bayerischen Verfassungsorden ausgezeichnet. 
 
Des Ordens für würdig erwiesen hatte sich Franz Wallner durch seine 50-jährige Arbeit im Einrichtungsverbund Steinhöring und als Begründer zahlreicher inklusiver Projekte im Landkreis Ebersberg. Vorgeschlagen hatte ihn die SPD-Landtagsabgeordnete Doris Rauscher. Die Süddeutsche Zeitung schreibt in ihrer Berichterstattung: "Dass Inklusion in Steinhöring heute eine Selbstverständlichkeit ist und viele Barrieren für Menschen mit einer Behinderung abgebaut wurden, dazu hat er einen großen Beitrag geleistet", begründete Rauscher ihren Vorschlag.

Begonnen hatte Franz Wallner im Einrichtungsverbund als Erzieher, später leitete er den Sozialdienst der Werkstätten und kümmerte sich um die berufliche Bildung und die Persönlichkeitsentwicklung der KlientInnen. Er half mit, dass Angebote für Menschen mit Behinderungen für sämtliche Belange etabliert wurden - von Frühförderstellen und Kinderhäusern über Schulen, Werkstätten und Inklusions-Cafés bis hin zu Seniorentagesstätten und Wohnbereichen. Seit 2005 kümmerte er sich vordringlich um Reisen und Kulturveranstaltungen - in Steinhöring, aber auch darüber hinaus.

Auch die Teilnahme an öffentlichen Sportveranstaltungen wie Marathonläufen oder Special-Olympics-Veranstaltungen haben die Bewohnerinnen und Bewohner des EVS Franz Wallner zu verdanken, der sie dazu ermutigte. Auch das traditionelle Sommerfest mit Open-Air-Konzerten und ein Christkindlmarkt gehen auf seine Initiative zurück. Besonders am Herzen lag Franz Wallner das Projekt "Albatros Reisen", ein Reisebüro für Menschen mit Behinderung.