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26.05.2023 - Fasten im Ramadan: Junger Strafgefangener hält durch


Er wollte es eigentlich nur für seinen Vater tun, aber dann blieb er konsequent - und das während seiner Haft. Zum diesjährigen Ramadan wollte ein junger Muslim ohne Tricks fasten. Und es gelang ihm - auch mithilfe seiner einsitzenden "Kollegen" an der Münchner Justizvollzugsanstalt Stadelheim. Anja Moser, unsere Betreuerin für junge inhaftierte Männer in der JVA, erzählt.

Den meisten Menschen fällt das Fasten schwer, auch jungen Muslimen. Eine besondere Herausforderung ist es für junge Männer, die einsitzen müssen. Symbolfoto: Pixabay
Anja Moser, Haftbetreuerin und externe Suchtberaterin in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Stadelheim im Auftrag der KJF-Einrichtung Erziehungshilfezentrum Adelgundenheim:

Heute, wo ich diesen Artikel schreibe, sind 1033 Menschen im Münchner Gefängnis Stadelheim. 84 von ihnen sind Jugendliche oder Heranwachsende. Und diese Menschen kommen aus insgesamt 77 verschiedenen Nationen. So treffen nicht nur sprachlich, sondern auch in vielen anderen Bereichen des Zusammenlebens Welten aufeinander. Was mag man essen? Wie reagiert man auf Menschen in Uniform? Geht man zum Psychiater, oder hat man einen bösen Geist? Muss man auch auf Frauen hören? Wie pünktlich ist pünktlich? Und auch: Glaubst du an Gott? An Allah? Bist du Hindu, Jude, Muslim, Christ? Und wenn, was denn dann für einer? Orthodox, katholisch? Ein Jeside? Ein Sunnit, ein Alevit? Was hat dein Vater dich gelehrt? Auf was besinnst du dich in deiner großen Not?

Äthiopisch-orthodoxe Christen dürfen während ihrer Fastenzeit keine tierischen Produkte essen, müssen täglich zwei Stunden beten, und die Sonntage werden nicht gezählt. Bei den Muslimen gehört das Fasten zur Religion, eine der fünf Säulen. Der Ramadan war in diesem Jahr vom 22. März bis zum 20. April 2023, die Fastenzeit der Katholiken vom 22. Februar bis zum 8. April 2023. Und jeder, der auch nur einmal versucht hat, "doofe Gedanken" zu fasten oder Alkohol oder Zigaretten, weiß, wie sich das anfühlt. 

Jedes Jahr zum Ramadan gibt es Jugendliche, die sich fest und beherzt aufmachen zu fasten, aber so richtig, auch nicht Rauchen und Fluchen, soweit es eben geht. Bei den Christen fragt ganz selten mal einer: Wann geht es denn los mit dem Fasten, und können Sie vielleicht noch mal nachschauen, wie die Regeln sind? Aber für uns, für die Christen, ist es irgendwie schwieriger, weil es freier ist. Weil wir nicht von Sonnenaufgang bis -untergang auf alles verzichten, sondern weil wir den Verzicht selbst finden müssen, und das Fasten nicht einfach eine Säule ist, etwas Wichtiges. Die Freiheit macht uns auch da alles so schwer. 

Aus Nutella und Brezen werden Hotdogs und Zwiebeln

Jedenfalls haben wir von dem großartigen "Katholischen Verein zur Betreuung gefährdeter Jugend e.V." Geld gespendet bekommen für ein Osterfrühstück. Viel Nutella, Semmeln und Brezen war der Plan. Aber dann haben drei der muslimischen Jungs begonnen zu fasten. Und ich dachte, das hält - wie jedes Jahr - keiner durch, da können wir locker frühstücken zu Ostern. So kann man sich täuschen.

Tatsächlich hat es in diesem Jahr ein junger Mann durchgezogen, aber so richtig. Er sagte, ihm selbst sei es nicht wichtig, aber sein Vater würde sich so freuen, wenn er das mal machen würde. Und er hätte es noch nie gemacht. Draußen habe er immer beschissen. Seinen Eltern habe er gesagt, er würde fasten, aber dann gab es trotzdem Döner und Zigaretten. Und deshalb würde er es hier im Gefängnis gerne mal schaffen - für seinen Vater, aber schon auch für sich. Sogar das Fluchen wollte er eigentlich lassen, aber das klappte nicht, keinen Tag. 

Und weil das Fasten ja eigentlich nie wirklich nur privat ist, und weil alle, die Jungs und auch wir, so beeindruckt waren von seiner Konsequenz, gab es kein Osterfrühstück. Da waren sich alle einig. Kurz nach dem Zuckerfest, als dann wieder alle im Schokoladenzigarettenwahnsinn waren, gab es dann aber endlich ein Fest. Wir haben uns auf Hotdogs geeinigt mit Ketchup, Senf, Majo, Zwiebeln, das ganze Programm. Natürlich nur Geflügel, versteht sich von selbst. 96 Hotdogs an einem Abend. Für 18 Jungs.
 
Das war dann Ostern und Ramadan und alle Fragen auf einmal im Knast. Und kleiner Nachtrag: Schoko-Ostereier haben wir trotzdem versteckt, die kann man ja aufheben bis Sonnenuntergang, aber mehr gab es nicht. So wars.

Lesen Sie dazu auch diese Reportage.