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03.01.2023 - Zaid gibt nicht auf - Eine Erfolgsgeschichte aus den Ambulanten Erziehungshilfen


Im zweiten Teil unserer Serie "Erfolgsgeschichten" geht es um den kurdischen Jugendlichen Zaid aus dem Irak. Michaela Flaxl, Pädagogin bei den Ambulanten Erziehungshilfen, hat seine Geschichte aufgeschrieben. Sie berichtet von einem bemerkenswerten jungen Mann, der jetzt auf einem guten Weg ist.

 So wie diesen junge Mann auf dem Symbolfoto kann man sich Zaid bei seiner Arbeit im Hotel vorstellen. Symbolbild: istock
Juni 2020: Start bei den Ambulanten Erziehungshilfen (AEH) für eine kurdische Großfamilie, fünf Kinder beziehungsweise Jugendliche. Der Fokus sollte auf zweien der drei mittleren Kinder liegen. Sie bräuchten einen Ansprechpartner außerhalb des Familiensystems, vermeintlich klassische Themen wie Freizeitaktivitäten, Schule und Pubertät stünden an. Und die Eltern? Gesundheitlich angeschlagen, stark belastet, Sprachbarriere, Überforderung. Sie waren zunächst eher skeptisch, aber man könne es ja mal versuchen. Aber nur für die beiden Kinder, bei den anderen drei gäbe es ja keinen Bedarf. Also legten wir los …

So auch bei Zaid, 15 Jahre alt (Name geändert). Er sei versorgt, es laufe gut, er brauche nichts – hieß es damals. Wir lernten ihn kurz kennen, tauschten uns mit seiner Lehrerin aus, es schien ihm gut zu gehen. Bis Zaid ein knappes halbes Jahr später vor unserer Tür stand und um Unterstützung bat. Er wolle in die Notbetreuung der Schule gehen, er könne im Lockdown zuhause nicht lernen, es gäbe zu wenig Platz, nicht genügend Endgeräte, und er wolle seine Eltern damit nicht belasten. Sein Anliegen war in fünf Minuten geklärt. er bedankte sich und fragte bei der Verabschiedung, ob er wiederkommen dürfe. Ab diesem Moment kam Zaid für fast eineinhalb Jahre wöchentlich zur AEH, jeden Donnerstag um 15:30 Uhr, zuverlässig und pünktlich.
 
Hier läuft es gut!
Die Reihe "Erfolgsgeschichten" befasst sich mit dem Arbeitsalltag in unserer Einrichtung SBW-Flexible Hilfen. Im Fokus stehen sollen dabei nicht die Dinge, bei denen es hakt, oder die Probleme, die noch zu lösen sind, sondern die positiven Entwicklungsschritte, die erreichten Zwischenziele, die großen und kleinen Erfolge. Im Arbeitsalltag übersieht man diese nämlich nur allzu leicht. Dabei können KlientInnen wie BetreuerInnen daraus Kraft für die noch anstehenden Herausforderungen schöpfen.

Den ersten Teil unserer "Erfolgsgeschichten" finden Sie hier.
Loyalität als Stärke und Schwäche

Schon beim zweiten Termin bracht er einen Berg an Themen mit, die ihn beschäftigten, da hatte sich so einiges angestaut: gefühlte Ungerechtigkeiten in seinem Leben und auf der ganzen Welt, Respektlosigkeit von und gegenüber Autoritätspersonen, die Vereinbarkeit von zwei so unterschiedlichen Kulturen, der Zusammenhalt unter Gleichgesinnten und die für ihn spürbar große Last der Verantwortung gegenüber der gesamten Familie. Er hatte so vieles, was ihn im Alltag beschäftigte. Doch es gab ein Hauptthema, bei dem wir immer und immer wieder landeten:  Loyalität, eine seiner großen Stärken und gleichzeitig vermutlich auch eine seiner größten Schwächen. 

Fast zeitgleich mit der Aufnahme in den Hilfeplan, welcher als Ziele schulische Unterstützung und einen Ausbildungsplatz beinhaltete, flatterten diverse Briefe von Polizei und Gericht ein - schwere Körperverletzung, Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, Hausfriedensbruch und so weiter. Alles Delikte aus der Vergangenheit und mitunter die Folge seiner Loyalität den falschen Menschen gegenüber. Auf einmal war die Zusammenarbeit mit Zaid viergeteilt, ein minimaler Teil an Elterngesprächen und die drei großen Säulen - Gericht, Schule und Ausbildung. Wir begleiteten ihn zu diversen Gerichtsterminen, unterstützten ihn bei der Umsetzung der Auflagen, halfen bei der Quali-Vorbereitung und schrieben Woche für Woche Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz. 

Zaid kam abwechselnd zu mir und zu einer Kollegin. Wir waren beide beeindruckt von seiner Reife und seinem Selbstbewusstsein. Er stand für die Dinge ein, die ihm wichtig waren, unabhängig davon, was alle um ihn herum sagten. Trotz seines großen sozialen Netzwerks äußerte er oft, er fühle sich allein. Die AEH war für ihn eine neutrale Anlaufstelle. Hier konnte er Themen, Meinungen und Emotionen freien Lauf lassen, ohne vorschnell verurteilt zu werden, Konsequenzen befürchten zu müssen oder seinen Ruf zu verlieren. Er holte sich hier etwas, das er weder in der Familie noch bei den Freunden anbringen konnte. 

Arbeit im Vier-Sterne-Hotel gefunden

Auch als es inhaltlich nicht mehr so viele Themen zu bearbeiten gab, kam er trotzdem - wenn auch nur für eine halbe Stunde - um sich über etwas auszutauschen, was ihn beschäftigte. Mit seiner Art eckte er immer wieder in anderen Bereichen, überwiegend in der Schule, an, wurde als respektlos, frech und provozierend beschrieben. Das ist etwas, was wir in der gesamten AEH-Zeit uns gegenüber nicht einmal feststellen konnten, eher im Gegenteil. Wir erlebten einen jungen Mann, der so viel zu sagen hatte und einfach nur gehört werden wollte.

Gegen Ende des Schuljahres dann die Ernüchterung: Quali ganz knapp nicht geschafft, kein Ausbildungsplatz, überwiegend nicht mal Rückmeldungen auf seine Bewerbungen, geschweige denn eine Einladung zum Vorstellungsgespräch. In den Sommerferien war Zaid dann sechs Wochen in der irakischen Heimat, brauchte Abstand von all dem Frust hier in Deutschland. 

Aber trotz vieler Rückschläge wollte er nicht aufgeben. Er wechselte die Schule, wiederholte freiwillig die 9. Klasse, erfüllte all seine gerichtlichen Auflagen und reichte bereits im Oktober wieder erste Bewerbungen ein. Mit Erfolg – im Juni 2022 hatte Zaid seine Schule abgeschlossen (wenn auch ohne Quali) und startete im August 2022 seine Ausbildung zum Hotelfachmann. Im Vier-Sterne-Hotel! Er geht regelmäßig zur Arbeit, ist pünktlich und zuverlässig, respektvoll gegenüber KollegInnen und Vorgesetzten, hat Spaß am Umgang mit den Gästen und kümmert sich absolut selbstständig um alles, was er jetzt in der Arbeitswelt braucht. Was ein wenig holprig begann, erweist sich im Rückblick als relativ geradlinig. Wenn es doch sonst auch so einfach wäre …

Text: Michaela Flaxl, Pädagogin bei SBW-Flexible Hilfen
Die Ambulanten Erziehungshilfen in unserer Einrichtung SBW-Flexible Hilfen München

Im Kern geht es bei den Ambulanten Erziehungshilfen (AEH) immer darum, Eltern in ihren Erziehungskompetenzen zu stärken und Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu fördern und Risiken abzuwenden. Dafür gelten rechtliche Grundlagen. Nach SGB VIII (Sozialgesetzbuch, Kinder- und Jugendhilfegesetz) die Paragrafen 27 und Folgende haben alle Erziehungsberechtigten Anspruch auf AEH, wenn das die geeignete Hilfe für ihr Anliegen ist. Es werden zu Beginn der Hilfe Ziele für Kinder und Eltern/Erziehungsberechtige festgelegt, die mit Hilfe der AEH umgesetzt werden sollen. Die MitarbeiterInnen der AEH-Teams der KJF (Sozialregion Mitte, Sendling, Hadern und AEH Landkreis; alle München) sind überwiegend SozialpädagogInnen, sehr viele verfügen über Zusatzausbildungen. In jeder Sozialraumregion gibt es mehrere freie Träger, die AEH anbieten. Das bedeutet, dass jedes KJF-Team auch eng mit seinen Kooperationsteams zusammenarbeitet, zum Beispiel mit dem Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) und der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Die AEH arbeitet mit Familien, Kindern, Eltern und Alleinerziehenden, Jugendlichen und jungen Heranwachsenden bis 27 Jahre in verschiedensten Settings und je nach Bedarf zu Hause in der Familie, an vereinbarten Orten oder im Büro der AEH. Der AEH stehen wöchentlich je nach Bedarf zwischen drei und zehn Stunden pro Woche für eine Familie zu Verfügung. Die Hilfe ist auf zwei Jahre angelegt.