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05.07.2021 - Reittherapie in Steinhöring: Wenn das Pferd zum Therapeuten wird


Was hat es mit der Reittherapie für Menschen mit Behinderungen auf sich? Das wollte der Redakteur des Münchner Kirchenradios, Korbinian Bauer, wissen und besuchte eine Reittherapiestunde auf dem Fendsbacher Hof unseres Einrichtungsverbunds Steinhöring bei Ebersberg.

Von links: Reittherapeutin Helga Engelhardt-Schott, Luna auf dem Hengst Gony und Carolin. Foto: KJF/Böck (EVS)
Tiere haben einen positiven Einfluss auf uns - jede Besitzerin und jeder Besitzer eines Haustieres weiß das. Die therapeutischen Effekte von Pferden und Ponys auf den Menschen sind seit langem bekannt. Von diesen Effekten können vor allem Menschen mit Behinderungen profitieren.

Einmal in der Woche nehmen Kinder und Jugendliche mit körperlichen und geistigen Behinderungen an einer Reittherapiestunde auf dem Fendsbacher Hof des Einrichtungsverbunds Steinhöring (EVS) teil. So auch die Schülerinnen Luna (13) und Carolin (20) der Heilpädagogischen Tagesstätte St. Nikolaus in Erding, einer Einrichtung des EVS. Auf dem Hof stehen neun Therapie-Reittiere unterschiedlicher Größe, vom Pony bis zum stattlichen Warmblüter. Im Rahmen der Therapiestunde dürfen die Klientinnen Vieles machen, was mit dem Reiten noch gar nichts zu tun hat: Striegeln, Hufe auskratzen, Halfter anlegen, das Pferd an der Hand führen. Reittherapeutin Helga Engelhardt-Schott: "Das hilft beiden - Pferd wie Mensch - bei der Kontaktaufnahme und gibt unseren Klientinnen Vertrauen." 

Als sie mit der Therapie begann, war Luna noch ängstlich. Inzwischen hat sie ihre Scheu verloren und fühlt sich wohl im Umgang mit dem Pferd. Wenn die Vorarbeiten erledigt sind, geht es ans Aufsitzen. Als Hilfsmittel dafür gibt es im Fendsbacher Hof ein Podest und sogar eine Rampe und einen kleinen Kran für KlientInnen, die im Rollstuhl sitzen. Natürlich bekommt jede Reiterin und jeder Reiter einen Helm. Dann geht es darum, kleine Übungen zu reiten, rund um eine Tonne etwa und dorthinein dann gezielt etwas zu werfen. Das erfordert viele Aktionen gleichzeitig, nicht nur das Pferd mit Schenkeldruck und Zügel zu steuern. Diese Multitasking-Aufgaben fördern die Koordinationsfähigkeiten und die Konzentration der Klientinnen.
 
Hier zum Nachhören

Wenn Sie den interessanten Beitrag aus der Sendereihe Total Sozial des Münchner Kirchenradios (MK) nachhören wollen, finden Sie ihn in der MK-Mediathek unter „Hoch zu Ross“ und als Podcast. Dort erfahren Sie auch, wie es die frühere Therapiereiterin Anita Unterreitmeier (35) von ihren ersten Stunden im Fendsbacher Hof zur Reiterin bei den Dressurreiterinnen Special Olympics geschafft hat, und wie ihr das Therapie-Reiten geholfen hat. Total Sozial können Sie immer freitags um 16 Uhr hören auf DAB+ und im Webradio, außerdem als Podcast überall dort, wo es Podcasts gibt.
Leistungsgedanke steht nicht im Vordergrund

Warum ist Reittherapie so hilfreich, wollte Korbinian Bauer, Redakteur des Münchner Kirchenradio, von Hannah Böck, der Leiterin der Reittherapie auf dem Fendsbacher Hof, wissen: "Die Klientinnen müssen sich selbst um das Tier kümmern, sie sind verantwortlich dafür. Das bewirkt, dass sie sich viel schneller öffnen." So nutze man das Beziehungsdreieck Klientin, Pferd und Therapeutin. Wobei die Therapeutin lediglich dazu da sei, einen konstruktiven Umgang miteinander zu fördern, ohne viel Einfluss zu nehmen, auf das, was zwischen Klient und Pferd geschieht. 

Das Hauptziel der Reittherapie am Fendsbacher Hof sei der Spaß, so Böck weiter: "Wir möchten mit Leichtigkeit und Freude rangehen. Im Vordergrund steht nicht der Leistungsgedanke, sondern die Freude am Umgang mit dem Pferd, mit der Natur." Aber es zeigen sich schnell konstruktive Nebeneffekte, etwa bei Kindern, denen es schwerfällt, sich zu konzentrieren. In den Therapiestunden lernen sie, sich auf die einzelnen Teilschritte einer Aktion zu konzentrieren, etwa auf das, was beim Führen an der Leine zu bedenken ist. Natürlich braucht es dafür auch die richtigen Pferde. Ruhig müssen sie sein, von gutmütigem Wesen und mit angenehmem Gangbild. "Außerdem müssen sie gut zuhören können und Spaß am Umgang mit Menschen haben", so Hannah Böck.
"Dieses Fühlen und Riechen, das Wissen, dass man geborgen ist und getragen wird - das zu erleben ist ein unfassbar schönes Gefühl."
Hannah Böck, Leiterin der Reittherapie auf dem Fendsbacher Hof

Die Reittherapie wird nicht nur für Menschen angeboten, die einigermaßen fit sind. Auch Menschen, die nicht auf einem Pferd sitzen, sondern nur auf ihm liegen können, hat die Reittherapie segensreiche Auswirkungen. Hannah Böck: "Dieses Fühlen und Riechen, das Wissen, dass man geborgen ist und getragen wird - das zu erleben ist ein unfassbar schönes Gefühl."

Judith Assuan-Krüger (47), Heilerziehungspflegerin in der Heilpädagogischen Tagesstätte St. Nikolaus, erzählt Korbinian Bauer von weiteren positiven Effekten der Reittherapie auf die KlientInnen. "Kinder, die hyperaktiv sind, werden durch die Bewegung auf dem Pferd ruhiger." Ihre Motivation werde durch die Eigenmotivation der Pferde gefördert. Und Kinder mit schweren Behinderungen, die sich nur auf das Pferd legen können, würden entspannter, ihre Spastiken lösten sich auf. "Hinzu kommen die positiven Auswirkungen auf die Psyche. Sie kommen gestärkt und selbstbewusster vom Fendsbacher Hof zurück." 

Text: Gabriele Heigl, KJF-Pressesprecherin