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31.07.2023 - Reden über Armut - ein Projekt der Einrichtung Lichtblick Hasenbergl


Das Thema Armut ist schambesetzt, vor allem für diejenigen, die betroffen sind. In unserer Münchner Einrichtung Lichtblick Hasenbergl geht man im Umgang mit dem schwierigen Thema nun neue Wege. Dörthe Friess vom Lichtblick berichtet.

Die ReferentInnen Aicha Agrien, Peer-Mentorin im Lichtblick Hasenbergl (Mitte) und Dörthe Friess (links), Bereichsleitung Pädagogik und Know-How, Lichtblick Hasenbergl, sowie Wiltrud de Haan, Programmleitung Entdeckerfonds, Children for a Better World e.V.. Foto: Lichtblick Hasenbergl/KJF
Was ist Klassismus?
Klassismus (abgeleitet von "Klasse" im Sinne von "soziale Klasse") bezeichnet Vorurteile oder Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft oder der sozialen Position, die sich meist gegen Angehörige einer "niedrigeren" sozialen Klasse richten. Damit überschneidet sich der Begriff mit den Bedeutungsfeldern von politischen Schlagworten wie Klassendünkel, Klassenschranken und Prekarisierung. 

Auslöser für das Projekt "Reden über Armut - zwischen Tabus, Scham und Chancen" war ein Filmprojekt in unserer Einrichtung Lichtblick Hasenbergl. Im Frühjahr 2021, während des zweiten Corona-Lockdowns, waren die Armutsauswirkungen auf die Lichtblick-Jugendlichen omnipräsent. Das Thema und die Not der Jugendlichen aufgreifend, luden wir zum digitalen Zoom-Gesprächsabend "Aufwachsen in Armut - lasst uns reden" ein. In intensiven und sehr persönlichen Gesprächen erzählten sich die jungen Menschen von ihrem Aufwachsen in Armut und ihrer aktuellen Lebenssituation. Über viele ihrer Erfahrungen sprachen sie dabei zum ersten Mal auch mit anderen Jugendlichen. Sie teilten die peinlichen Momente, wenn Lehrkräfte Geld einsammelten und alle in der Klasse mitbekamen, dass sie die fünf Euro wieder nicht dabei hatten, wie sie versuchten, Lösungen zu finden, und wie sehr sie die Erschöpfung und die Sorgen in ihren Familien belasten.

Einmal angestoßen ließ uns das Thema nicht mehr los. Die Jugendlichen stellten verwundert fest, wie ähnlich ihre Lebensherausforderungen sind. Stella fragte: "Wir sind hier im Viertel gemeinsam aufgewachsen und wussten nicht, wie ähnlich unsere Geschichten sind. Warum ist das so?" Das Reden über Armut entlastete sie. "Ich dachte immer, es liegt an meinen Eltern, wir sind irgendwie schuld. Aber wenn es uns allen so geht, kann es ja nicht nur unsere Schuld sein."
 
Was verändert sich, wenn wir über Armut reden? Die Jugendlichen beschreiben: "Ich kann mehr in Möglichkeiten denken, bin nicht mehr so blockiert." Und: "Reden ist ein Anfang, weil es hilft, unser Leben zu verstehen." Diskutiert wurde aber auch, wie schambesetzt Armut ist. Und wie wichtig es vielen Jugendlichen und Familien ist, dass ihre Armut "nicht gesehen wird". Viele Jugendlichen sagten: "Offen reden können wir nur hier, im geschützten Rahmen." Wie gelingt Reden über Armut? "Wenn Scham schützt und verhüllt - wie gelingt das Reden ohne bloßzustellen?" Im Lichtblick diskutieren wir dies mit Jugendlichen, jungen Erwachsenen und MitarbeiterInnen und entwickeln uns im Gespräch weiter.

Nun fand erstmals in Kooperation mit Children for a better World e.V. eine externe Fortbildung mit 14 Fachkräften aus ganz Deutschland statt, die alle in Einrichtungen mit überwiegend armutsbelasteten Zielgruppen arbeiten. In den Workshops setzten wir uns mit Klassismus, Tabus und Scham auseinander, reflektierten die eigene Arbeit und entwickelten Projektideen, sehr nah an der Praxis der Beziehungs- und Beratungsarbeit der TeilnehmerInnen. Unser Referentinnen-Team aus dem Lichtblick war ein besonderes Duo: eine junge Erwachsene, die seit ihrer Kindheit die Einrichtung besucht und sich heute als Peer-Mentorin engagiert, im Team mit einer Fachkraft. Reden über Armut heißt nicht nur miteinander zu reden, sondern auch zuzuhören und von Armutsbetroffenen zu lernen.

Text: Dörthe Friess, Lichtblick Hasenbergl, Pädagogik und Know-How
Unsere Einrichtung: Lichtblick Hasenbergl
Lichtblick Hasenbergl betreut Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 5 Monaten und 25 Jahren aus sozial belasteten und benachteiligten Familien im Münchner Stadtteil Hasenbergl Nord. Dort wachsen viele Kinder unter benachteiligenden Bedingungen in einer großen Sozialwohnungssiedlung auf. Ihr Leben ist geprägt von finanziellen Sorgen, einem niedrigen Bildungsniveau, einem schwierigen Umfeld und der Abhängigkeit von finanziellen Hilfen. Das Ziel des Lichtblick ist es, den Kreislauf sozialer Benachteiligung zu durchbrechen und sicherzustellen, dass die Kinder gesund aufwachsen, eine Schulform besuchen können, die ihrer tatsächlichen Begabung entspricht und erfolgreich eine Ausbildung durchlaufen können. Das Angebot beginnt mit Mutter-Kind-Gruppen und einem Kindergarten. Es begleitet durch die gesamte Schulzeit bis zum Schulabschluss und hilft den Jugendlichen in eine Ausbildung. Im Rahmen einer Ausbildungsbegleitung erhalten junge Erwachsene die nötige Unterstützung, um sicher im Beruf anzukommen. Derzeit können rund 200 Betreuungsplätze zur Verfügung gestellt werden, rund 120 Erwachsene nutzen die Angebote eines angegliederten Familienzentrums.