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16.05.2023 - Jugendgerichtshilfe: Alles versuchen, damit es bei der ersten Tat bleibt


Seit 1995 liegt die Jugendgerichtshilfe in Stadt und Landkreis Freising bei unserer Einrichtung Jugendhilfe Nord. Unsere Mitarbeiterin Anita Lex-Bader erzählt von ihrer Arbeit.

Strafrechtlich aufgefallen: Jetzt geht es darum, dass es bei dem einen Mal bleibt. Symbolbild: motortion, adobe stock
Die Jugendgerichtshilfe wird in jedem Strafverfahren eingeschaltet, das gegen Jugendliche und Heranwachsende eröffnet wird. Im Rahmen dieser Aufgabe betreut und begleitet unsere Jugendhilfe Nord jedes Jahr an die 1000 junge Menschen in ihren Strafverfahren. Auftraggeber sind die Staatsanwaltschaft oder das Gericht. Die Betreuten sind zwischen 14 und 21 Jahre alt. Anita Lex-Bader, Sozialpädagogin bei der Jugendhilfe Nord, hat viel Erfahrung mit der Betreuung der Jugendlichen und ihrer Erziehungsberechtigten in dieser schwierigen Lebenssituation. 912 Fälle bearbeiteten sie und ihre drei KollegInnen beispielsweise im Jahr 2022. Strafrecht und Jugendstrafrecht waren Teil ihrer sozialpädagogischen Ausbildung. 

Die Jugendgerichtshilfe überwacht gerichtlich angeordnete Weisungen
 
  • Sozialstunden
  • Gesprächsweisung
  • Betreuungsweisung
  • Drogenscreenings
  • Antiaggressionstraining und Ähnliches


Wozu Jugendgerichtshilfe?

  • Die JugendgerichtshelferInnen sind während des gesamten Verfahrens AnsprechpartnerInnen, das heißt, sie stehen in allen Fragen in diesem Zusammenhang zur Verfügung.
  • Die JGH gibt vor Gericht eine Stellungnahme ab zur Entwicklung, der Lebenssituation und insbesondere zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit und sozialen Reife der Jugendlichen beziehungsweise Heranwachsenden.
  • Die JGH steht dem Jugendlichen/dem Heranwachsenden beratend zur Seite und unterstützt ihn bei der Vorbereitung auf die Hauptverhandlung.
  • Die JGH ist bei der Hauptverhandlung anwesend und erstattet Bericht.
  • Die JGH überwacht gerichtlich angeordnete Maßnahmen beziehungsweise führt diese selbst durch.
  • Die JGH betreut während der Haft.
Bei der Gesprächsweisung handelt es sich um eine sogenannte Einzelfallhilfe. Einzelfallhilfe (auch soziale Einzelhilfe genannt) ist eine Methode der sozialen Arbeit. Neben sozialer Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit ist sie eine der drei grundlegenden sozialpädagogischen Interventionsformen zur Lösung sozialer Probleme. Ihre Strategien zur Bewältigung dieser Probleme setzen dabei vornehmlich am Individuum, in diesem Fall am jungen Täter, an. Dabei führt die Sozialpädagogin drei bis fünf einstündige Gespräche mit dem jungen Menschen. Darin geht es nicht nur um die Aufarbeitung der Tat, sondern auch um die Lebenssituation, persönliche Schwierigkeiten, Konflikte in Elternhaus, Beruf, Schule und/oder in der Freizeit, häufig auch um das Medienverhalten.

Bei der Betreuungsweisung handelt es sich ebenfalls um eine Einzelfallhilfe. Mindestens ein halbes Jahr lang helfen die Sozialpädagoginnen den jungen Menschen, ihre Probleme in den Griff zu bekommen, etwa bei Arbeitslosigkeit, Konflikten im Elternhaus, Frühschwangerschaft, Drogenkonsum und anderen. Weitere Aufgaben nach dem Jungendgerichtsgesetz sind die Einteilung zu Sozialdiensten und zum Drogenscreening. Die Sozialdienste umfassen gemeinnützige Arbeit etwa im Altersheim, Bauhof oder Jugendzentrum. Darunter fällt beispielsweise auch die Teilnahme an der Ramadama-Aktion, die die Jugendgerichthilfe der Jugendhilfe Nord alljährlich organisiert.
 
Mögliche Betreuungsweisungen
  • Sozialdienststunden
  • Täter-Opfer-Ausgleich
  • Anti-Aggressions-Training (wird derzeit bei der Jugendhilfe Nord nicht angeboten)
  • Soziale Gruppenarbeit
Soziale Gruppenarbeit in der Jugendgerichtshilfe

Möglich ist auch Soziale Gruppenarbeit. Angela Katharina Weber, Sozialpädagogin und Kriminologin bei der Jugendgerichtshilfe der Jugendhilfe Nord, hat ein Konzept für Soziale Gruppenarbeit in der Jugendgerichtshilfe ausgearbeitet. Die Zielgruppe sind straffällige gewordene Jugendliche, die im Rahmen eines gerichtlichen Urteils zu einer Weisung oder Auflage verurteilt wurden, die geringfügige Delikte begangen haben und ErsttäterInnen sind. In fünf Einheiten setzen sich die SozialpädagogInnen mit den bis zu acht Teilnehmenden mindestens einmal pro Woche auseinander. 

In den Einheiten geht es etwa um Gespräche über die Straftat, die Konsequenzen, die bei erneuter Straffälligkeit drohen, die Themenkomplexe Gewalt, Aggression, Provokation und die Folgen von Gewalt, außerdem um Hate Speech, Mobbing und Beleidigung. Eine Einheit befasst sich mit strafbaren Handlungen im Kontext Sexualität und eine mit persönlichen Fragen der Zukunftsbewältigung, also der praktischen Lebensplanung, beispielsweise der Berufsschulpflicht, Wohnungssuche und Krankenversicherung. Ergänzend dazu beteiligen sich die Jugendlichen an kleineren sozialen Aktionen (Backen für Bedürftige, älteren/kranken Menschen bei Einkäufen helfen, Mitarbeit in der Wärmestube, Altenheimen und Ähnliches).
Männliche Täter überwiegen

Meist sitzen Anita Lex-Bader, ihr Kollege und ihre Kolleginnen junge Männern gegenüber. Im letzten Jahr standen in Freising 356 männliche nur 97 weiblichen Jugendlichen gegenüber. "Glücklicherweise ist ein strafrechtlich relevantes Verhalten unter den Jugendlichen häufig nur vorübergehend", meint Anita Lex-Bader.

Man muss unterscheiden zwischen den Verfahren, die von der Staatsanwaltschaft eingestellt werden und den Verfahren, die vor Gericht landen. Die Jugendgerichtshilfe kommt in beiden Fällen zum Einsatz. Gründe für die Einstellung können etwa sein:  die Geringfügigkeit der Tat, Ersttäterschaft und eine gute Prognose. Wenn es zum Verfahren und eventuell zur Haft kommt, erfolgt die Betreuung auch vor Gericht, in der Untersuchungshaft und der Haft. Anita Lex-Bader und ihre KollegInnen besuchen ihre Betreuten vor Ort in den Justizvollzugsanstalten in Landshut, München, Aichach (nur weibliche Strafgefangene), Laufen-Lebenau, Neuburg an der Donau und Ebrach.

Häufig kommt es allerdings zur Einstellung des Verfahrens mit Weisungen durch die Jugendgerichtshilfe. Diese können sein:
  • Gesprächsweisung
  • Sozialdienststunden
  • Täter-Opfer-Ausgleich
Es gilt das Prinzip der Diversion (siehe Info-Kasten). Man will es sozusagen zunächst mit wenig intensiven Maßnahmen versuchen.
 
Diversion (wörtlich "Umleitung")
ist im deutschen Jugendstrafrecht ein Mittel, den jugendlichen Straftäter um ein volles Jugendstrafverfahren "umzuleiten" und damit insbesondere die Hauptverhandlung und eine frühzeitige Stigmatisierung als Straftäter zu vermeiden. Gemeint ist eine Umleitung um das System jugendstrafrechtlicher formeller Sozialkontrolle durch informelle Erledigung, häufig verbunden mit einer Weichenstellung vom Jugendstraf- zum Jugendhilferecht. Dabei spielt die Jugendgerichtshilfe eine bedeutende Rolle.
Persönliche Belastungen
 
Die Arbeit von Anita Lex-Bader und ihren KollegInnen kann auch persönlich belastend sein. Supervisionen und Gespräche mit den KollegInnen würden bei der Bewältigung helfen, meint sie. "Besonders zu Herzen geht mir immer, wenn ein junger Mensch keinen Willen zur Veränderung zeigt, es ist aber jeder auch selbst für sein Schicksal verantwortlich." Sie versuche stets, vorurteilsfrei an die Arbeit zu gehen, auch bei besonders belastenden Taten, etwa Missbrauch. Sie vermittele dann immer: "Dich nehme ich an, aber dein Verhalten kann ich nicht tolerieren."

Text: Jugendgerichtshilfe, Jugendhilfe Nord/Gabriele Heigl