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26.09.2023 - Ganztagesbetreuung im regionalen Kontext - die Kinderhorte in Freising im Fokus


Im Rahmen der verpflichtenden Ganztagesbetreuung ab 2026 stehen die Kommunen vor einer großen Verantwortung. In diesem Kommentar erläutert Frank Eichler, der Gesamtleiter unserer Freisinger Einrichtung Jugendhilfe Nord, seine Sicht auf die Herausforderungen, die damit verbunden sind, und warum der Fachkräftemangel die größte dieser Herausforderungen sein wird.

Jetzt gehören sie zu den Großen: Abschiedsfest der Hortkinder der 4. Klasse im Hort St. Vinzenz. Fotos: Jugendhilfe Nord/KJF
Ab September 2026 gilt der Rechtsanspruch auf einen Ganztagesbetreuungsplatz für die zu diesem Monat eingeschulten Kinder - bis 2029 folgen die weiteren Jahrgangsstufen 2 bis 4. Die Kommunen, die die Verantwortung für die Umsetzung dieses Gesetzes haben, sind gut beraten, frühzeitig mit der Planung von Bedarf und Angebot zu beginnen. In der Jugendhilfe Nord in Freising ist die KJF mit den Angeboten der Offenen Ganztagsschulen (OGts), der Mittagsbetreuung und den Kinderhorten seit Jahren im Fokus dieser Planungen und Maßnahmen.

In der Stadt Freising wird die Strategie verfolgt, durch die Raumkonzepte der Schulneubauten und der Schulhaussanierungen ein breites Angebot der Offenen Ganztagsschulen (OGts) zu installieren, um mit hohen Platzzahlen dem Rechtsanspruch folgen zu können. So ist im Schulneubau der Grund- und Mittelschule am Steinpark eine große OGts für die GrundschülerInnen mit über 150 Betreuungsplätzen entstanden, an der aktuell im Umbau befindlichen Grundschule Vötting ist ein Ganztagsschulbereich für mehr als 150 Kinder vorgesehen. Ähnliches gilt für die Paul-Gerhardt-Grundschule und die Grundschule St. Korbinian, die eine Sanierung und den Umbau noch vor sich haben. Die Tendenz geht hier demnach deutlich in die Breite - viele Kinder sollen in großen Gruppen den Nachmittag verbringen, kostenfrei, aber auch mit nur geringem Fachkraftanteil. 

Ausstieg aus dem Einstieg in die Ganztagsschule

Noch im Jahr 2018 wurden in der Jugendhilfe Nord fast 400 Schülerinnen und Schüler in den schulischen Betreuungsangeboten der Jugendhilfe Nord betreut - heute sind es "nur" noch knapp 200 Kinder. Im Kontext der oben beschriebenen Strategie hat die Jugendhilfe Nord bereits vor Jahren den Standpunkt vertreten, dass für die persönliche Entwicklung der Grundschulkinder neben der elterlichen Erziehung eine qualitativ hochwertige Pädagogik unverzichtbar ist. Daher hat sich die KJF Jahr für Jahr aus den im Grunde niederschwelligen Angeboten der OGts zurückgezogen und auch die von der Stadtverwaltung geforderte Umwandlung von Mittagsbetreuungen in Ganztagsschulen nicht erfüllt. Neben den inhaltlichen Kritikpunkten an der Qualität der niederschwelligen Betreuung in der OGts waren auch wirtschaftliche Gesichtspunkte maßgeblich für diesen Rückzug. Die Förderbedingungen sowohl für Ganztagsschulen als auch für Mittagsbetreuungen zwingen freie Träger zur Schmalspurpädagogik und in der Regel zu hohen Eigenbeteiligungen, um diese Angebote aufrecht zu erhalten. 

Um den Offenen Ganztag wirtschaftlich führen zu können, geht die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der Freien Wohlfahrtspflege in Bayern von einer notwendigen Steigerung der Förderpauschalen um mindestens 30 Prozent aus. Wenig Raum findet allerdings auch in den Forderungen der LAG die noch kostenintensivere, absolute Notwendigkeit einer höheren Fachkraftausstattung in den Ganztagsschulangeboten für eine sinnvolle und kindgerechte Pädagogik - angesichts des Fachkräftemangels gleichwohl ein utopisches Ziel.

Beinahe ironisch mutet es daneben an, wenn von inklusiven Ganztagsschulen als geeignetem Rahmen für die Teilhabemöglichkeiten von Kindern mit besonderem Förderbedarf gesprochen wird. Kaum vorstellbar, dass sich geistig behinderte Kinder oder Kinder, die von seelischer Behinderung bedroht sind, in einem Großbetrieb mit 150 Schülerinnen und Schülern zurechtfinden. Kaum vorstellbar, dass MitarbeiterInnen ohne pädagogische Qualifikation bei allem Engagement einen individuellen Entwicklungsschritt nach Förderplanung initiieren oder begleiten sollen, ob nun mit oder ohne Individualbegleitung. Eine Bestandsaufnahme, bei der in Bayern über 1000 Kinder, 800 Eltern und 700 Fachkräfte über ihre Erfahrungen mit dem erlebten Ganztagsschulangebot befragt wurden, macht all das deutlich: Zu wenig Zeit für Kinder, zu wenig Personal und zu wenig qualifiziertes Personal!

Lesen Sie bitte unten weiter.

Im Rahmen der Hortbetreuung werden viele Aktivitäten angeboten wie hier die nächtliche Stadtführung für die St.-Vinzenz-Hortkinder am Abend der Hortübernachtung.
 

Auch einen neuen Basketballkorb für den Hort Kammergasse galt es einzuweihen.
Kinderhorte sind parteiisch - auf der Seite des Kindes 

So konzentriert sich die Jugendhilfe Nord heute auf das Angebot der Hortpädagogik in den drei Einrichtungen - dem Hort an der Kammergasse, dem Integrativen Grundschulhort St. Korbinian und dem Kinderhort St. Vinzenz Pallotti mit insgesamt 160 Plätzen. In diesen Einrichtungen, die nach dem BayKiBiG (Bayerisches Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz) gefördert werden und für die die KJF eine mehr oder eher weniger auskömmliche Defizitvereinbarung mit der Stadt Freising hat, steht das Kind mit seiner individuellen Entwicklung in der Phase des Grundschulalters im Mittelpunkt. 

Neben der für viele Eltern vorrangigen Hilfe bei der Erledigung der schulischen Aufgaben wirken die Fachteams mit hohem Engagement und zahlreichen Unterstützungsmaßnahmen an der Persönlichkeitsentwicklung des einzelnen Kindes in den verschiedenen Alltagssituationen der Hortgruppe. Jede dieser drei Einrichtungen hat ganz unterschiedliche räumliche Gegebenheiten, allein das jeweilige Außengelände bewegt sich zwischen einem kompletten Schulhof, einem großen, abgetrennten Hortspielplatz mit Abenteuerbereichen und einem kleinen Vorhof eines Pallottiner-Klosters. Allen drei Einrichtungen ist jedoch gemeinsam, dass hier soziale, emotionale und auch kognitive Lernfelder für kindliche Entwicklung geschaffen werden, in denen die Hortteams die Groß- und Kleingruppen dynamisch führen und begleiten, in denen aber auch individuelle Krisen und Schwierigkeiten einzelner Kinder erkannt und gesteuert werden können. Das gilt insbesondere für den Integrativen Grundschulhort St. Korbinian, in dem seit 20 Jahren in einer Integrationsgruppe "Regelkinder" zusammen mit Kindern mit einer geistigen Behinderung gefördert und begleitet werden.

Eltern schätzen das pädagogische Angebot der Kinderhorte sehr - trotz stets steigender Betreuungsgebühren. Hier entstehen langjährige Beziehungen zwischen Eltern und Fachkräften, wenn Jahre nach dem ersten Kind das zweite oder noch später dann das dritte Kind der Familie in die Einrichtung aufgenommen wird. Abschiedsfeste für die Kinder der vierten Klasse, Sommerfeste, die zusammen mit Eltern geplant werden oder Hortübernachtungen einzelner Gruppen und viele andere Aktivitäten schaffen so über die Jahre eine Erziehungspartnerschaft, die den Namen auch verdient.

Nachwuchsförderung und Qualifizierung contra Fachkräftemangel

Damit dies möglich ist, ist in den Hortteams ein möglichst hohes Maß an Kontinuität nötig. In der Jugendhilfe Nord kann man von Glück reden, dass die drei Leiterinnen seit mehr als zehn Jahren ihren Aufgaben mit unvermindertem Engagement nachgehen. Dazu gehört auch die Aufgabe der Nachwuchsförderung und die Anleitung von PraktikantInnen und MitarbeiterInnen in berufsbegleitenden Ausbildungen. Zusammen mit der Fachakademie und anderen Bildungsinstitutionen in Freising wird Hilfskräften eine pädagogische Ausbildung schmackhaft gemacht, werden Weiter- und Ausbildungsgelegenheiten unterstützt und angeboten, so dass es noch gelingt, in jeder Hortgruppe mit drei Personen (Fachkraft/Ergänzungskraft/Hilfskraft) den lebendigen Alltag für die Kinder zu gestalten. Noch gelingt dies, aber für den zu erwartenden Leerstand des Arbeitsmarktes werden diese Qualifizierungsbemühungen sicher auch nicht ausreichen.

Fazit

Per Gesetz werden die Protagonisten der Ganztagesbetreuung zum Handeln gezwungen, um bald jedem Kind im Grundschulalter eine Betreuung am Nachmittag anbieten zu können. Jahrelang hat allerdings die Politik keine Antworten auf den schon lange vorhersehbaren Fachkräftemangel gegeben - so geht die Entwicklung jetzt weiter in die Richtung, möglichst viele günstige Betreuungsplätze zu schaffen, bei geringer staatlicher Ausstattung für unzureichende pädagogischen Qualität. In der Stadt Freising setzt sich die KJF daher stark dafür ein, die pädagogische Qualität (und die Quantität) des Hortangebots als Ergänzung des niederschwelligen Ganztagsschulkonzepts zu erhalten und gegebenenfalls auszubauen. Ob es gelingen wird, ausreichend junge Menschen für die Arbeit mit Kindern zu begeistern, steht allerdings auf einem ganz anderen Blatt.

Text: Frank Eichler, Gesamtleiter Jugendhilfe Nord

Das Mittelalter kommt: Stimmungsvolles Sommerfest im Hort St. Korbinian.