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13.11.2020 - Förderstätte Steinhöring: Kollekte soll Gebäude-Sanierung möglich machen


Die Kollekte des Jugendopfersonntags soll in diesem Jahr dazu verwendet werden, dass das Förderstätten-Gebäude baulich und technisch auf den Stand gebracht wird – damit die dort betreuten Menschen mit schwersten Behinderungen auch weiterhin individuell gefördert und unterstützt werden können.

Die KlientInnen freuen sich, dass sie in der Förderstätte des Einrichtungsverbunds Steinhöring sinnvolle Arbeiten verrichten können. Alle Fotos: EVS/KJF
Ortsbesichtigung in Steinhöring: Auf dem Gelände des Einrichtungsverbundes Steinhöring (EVS) ist Ankunftszeit. Busse fahren im Innenhof ein, ein lautes "Juchzen" ist zu hören. Christine B. freut sich auf ihren Tag in der Förderstätte. Eine MitarbeiterIn der holt sie vom Bus ab und begleitet sie in die hellen Förderstättenräume. Die Förderstätte Steinhöring bietet für Menschen mit schwersten und mehrfachen Behinderungen verschiedene individuelle Förderangebote. Wer so schwer beeinträchtigt ist, dass eine Tätigkeit in der Werkstatt nicht möglich ist, wird hier gefördert und begleitet.
 
Jugendopfersonntag – Kollekte für Menschen in Not

Der erste Adventssonntag in jedem Jahr wird als „Jugendopfersonntag“ bezeichnet. Die Kollekten, die an diesem Tag in den katholischen Kirchen der Erzdiözese München und Freising gesammelt werden, kommen ausschließlich Einrichtungen der KJF München e.V. zugute. Jährlich rotierend erhält ein anderer KJF-Verbund projektbezogen 90 Prozent der gesammelten Gelder. Die restlichen 10 Prozent gehen an „Unbürokratische Hilfen für Kinder in Not“ der KJF-Geschäftsstelle. Der Spendenaufruf geht aus vom Erzbischöflichen Ordinariat an alle Pfarrer der Erzdiözese und wird auch in deren Amtsblatt veröffentlicht.
Sabrina Wörz, die Einrichtungsleiterin der sanierungsbedürftigen Förderstätten.
 
In die Jahre gekommen

Mit dem Ziel, Menschen mit Behinderung "Arbeit und ein sinnerfülltes Leben" zu ermöglichen, gründete die KJF München vor fast 50 Jahren den Einrichtungsverbund Steinhöring. Das älteste Gebäude auf dem Steinhöringer Gelände hat eine wechselvolle Geschichte. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde in dem Gebäude der erste Lebensborn des sogenannten "Dritten Reiches" eröffnet. Diese Einrichtung der SS war Teil der nationalsozialistischen Rassenhygiene und diente als Entbindungsheim für Frauen, die dem Bild der arischen Mutter entsprachen. Zur gleichen Zeit wurde eine große Zahl von Menschen mit Behinderung und Menschen mit psychischen Erkrankungen im Rahmen der "Aktion Tiergarten 4" systematisch ermordet. "Dass in diesem Gebäude nun Menschen mit schwersten Behinderungen unterstützt werden, ist eine ständige Mahnung daran, dass sich Selektion und Abwertung von Menschen mit Behinderung nicht wiederholen dürfen", so Dr. Hanslmeier-Prockl. Daher ist es der KJF München ein wichtiges Anliegen, dieses Haus zu sanieren. Zudem entsprechen die Raumgrößen und die Aufteilungen auch den Vorstellungen einer modernen Förderstätte.
 
Der Tagesablauf orientiert sich an den Bedarfen der einzelnen TeilnehmerInnen. Christine arbeitet gerne an verschiedenen Aufgaben mit. Mithilfe einer Vorrichtung entfernt die junge Frau im Rollstuhl, die ihre Arme und Hände nur sehr eingeschränkt bewegen kann, mit einer Hand Lavendelblüten vom Stängel. Diese werden dann in Säckchen verpackt und zum Kauf angeboten. In einer anderen Gruppe entfernt Benedikt den Kaffeesatz aus Aluminium-Kapseln. Aus den Kapseln erstellen die TeilnehmerInnen der Gruppe mit Unterstützung der MitarbeiterInnen schöne Schmuckstücke. "Die TeilnehmerInnen der Förderstätte werden auf kreativem Weg zu Arbeitstätigkeiten angeleitet. Dabei konzentrieren wir uns auch auf die Wiederverwendung von Materialien. Jeanshosen oder Hemden werden bei uns in Taschen oder Kissenbezüge umgearbeitet", so Sabrina Wörz, die Einrichtungsleitung der Förderstätte.
 
Ein deutlich größerer Aufzug, die Modernisierung der Sanitäranlagen, neue Fenster und ein echter Vollwärmeschutz sind jedoch dringend erforderlich, um die Begleitung von Menschen mit schwersten Behinderungen zeitgemäß zu ermöglichen. Das größte Problem ist das Wassernetz. Es ist marode und passt nicht mehr zur aktuellen Nutzung, denn früher waren in dem Haus sowohl die Wäscherei als auch die Großküche des Geländes untergebracht. Auch alle Brandschutzeinrichtungen und elektrischen Anlagen müssen komplett erneuert werden.

Das Bauvorhaben kostet 8 Millionen Euro. Dennoch kommt ein Abriss des Hauses nicht in Frage. Nicht zuletzt sprechen auch die Kosten eines Neubaus dagegen: Er käme über 20 Prozent teurer als eine Sanierung. Dr. Gertrud Hanslmeier-Prockl plant die Sanierung des Gebäudes bereits seit 2012. Im März 2018 wurde das Sanierungsvorhaben bereits zum vierten Mal in den Landesbehindertenplan der Regierung von Oberbayern eingegeben und nun endlich genehmigt. Damit ist sichergestellt, dass Fördermittel durch die Regierung und den Bezirk fließen können.
 

Hofft auf großzügige KirchgängerInnen am ersten Adventssonntag: Dr. Gertrud Hanslmeier-Prockl, Gesamtleitung des Einrichtungsverbunds Steinhöring.

 
Unsere Einrichtung: Einrichtungsverbund Steinhöring

Der Einrichtungsverbund Steinhöring kann im nächsten Jahr sein 50-jähriges Bestehen feiern. In den Landkreisen Ebersberg und Erding hält er ein vielfältiges Angebot für Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung vor. Neben den Förderstätten und der Seniorentagesstätten gehören noch Wohneinrichtungen und Werkstätten, Frühförderstellen, integrative Kindergartageseinrichtungen, Förderzentren und heilpädagogische Tagesstätten zum Angebotsspektrum. Durch dezentrale und inklusive Angebote verfolgt der EVS das Ziel das Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung zu fördern und größtmögliche Teilhabe zu ermöglichen. In den Einrichtungen des EVS arbeiten ganz verschiedene Berufsgruppen in interdisziplinären Teams zusammen, um die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen zu unterstützen und zu begleiten. Außerdem wird mit externen Kooperationspartnern zusammengearbeitet.


Auch die Förderstätte Fendsbacher Hof in Pastetten ist Teil des Einrichtungsverbunds.

Bedarf wird steigen

In der Regel sind aber mindestens 30 Prozent Eigenmittel erforderlich. Zudem wird die Sanierung der Kapelle und verschiedener Büroräume, die ebenfalls in dem Förderstätten-Gebäude untergebracht sind, nicht gefördert. Dr. Hanslmeier-Prockl rechnet mit einer Förderung in Höhe von etwa 3,6 Millionen Euro. Auch das Erzbischöfliche Ordinariat beteiligt sich mit einer Million Euro Zuschuss. Die Kollekte des Jugendopfersonntags soll ebenfalls dabei helfen den Eigenanteil zu bestreiten.

Das Geld wird gut angelegt sein, denn in den nächsten Jahren werden zusätzliche Plätze in der Förderstätte benötigt, die nach der Sanierung angeboten werden können. Neben der Förderstätte befinden sich auch Räume der Seniorentagesstätte in diesem Gebäude. Die Gruppe der SeniorInnen wird in den nächsten Jahren stetig anwachsen, denn immer mehr BewohnerInnen erreichen das Rentenalter. In der Seniorentagesstätte können sie tagsüber verschiedene Angebote wahrnehmen und soziale Kontakte pflegen. Durch Schaffung weiterer Einzelräume können nach der Sanierung zukünftig mehr Personen tagsüber begleitet werden. Und wann könnte das Vorhaben umgesetzt sein? Dr. Hanslmeier-Prockl: "Wir hoffen, dass wir zur Jahreswende 2022 in das sanierte Gebäude einziehen können."

Text: Öffentlichkeitsarbeit EVS
 
Haus mit Geschichte - Das Gebäude der Förderstätten im Wandel der Zeit

Das Gebäude in Steinhöring im Landkreis Ebersberg, in dem die Förderstätte und die Seniorentagesstätte untergebracht sind, wurde bereits 1936 errichtet, ursprünglich für eine ortsansässige Brauerei. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde das Haus als Heim des Lebensborn e.V. genutzt. Der Verein hatte sich dem nationalsozialistischen Wahn von der „arischen Rasse“ verschrieben. Sein Ziel war es, die Erhöhung der Geburtenziffer „arischer“ Kinder herbeizuführen. Dies sollte durch das Abhalten unverheirateter Frauen und Mädchen von einem Schwangerschaftsabbruch, durch das Anbieten anonymer Entbindungen und die anschließende Vermittlung der unehelichen Kinder zur Adoption – bevorzugt an Familien von SS-Angehörigen – erreicht werden. Der Lebensborn war daneben mitverantwortlich für die Verschleppung von Kindern aus den von Deutschland besetzten Gebieten. Falls diese im Sinne der nationalsozialistischen Rassenideologie als „arisch“ galten, wurden sie unter Verschleierung ihrer Identität in Lebensborn-Heime im Reich oder in den besetzten Gebieten verschleppt. Ziel war letztlich die Adoption durch parteitreue deutsche Familien.

Ab 1946 war eine Kinderklinik der Solanus-Schwestern aus Landshut in dem Gebäude untergebracht. Seit 1971 nutzt der Einrichtungsverbund Steinhöring das Haus in verschiedenen Funktionen: zunächst als Wohneinrichtung und heute als Förderstätte und Seniorentagesstätte. Die Förderstätte wurde 1989 eröffnet. Die Einrichtung bietet Menschen mit schwersten und mehrfachen Behinderung im Erwachsenenalter einen zweiten Lebensraum neben dem Wohnen. Die Angebote reichen von Arbeits- und Beschäftigungsübungen mit dem Ziel der beruflichen Bildung bis zur basalen Stimulation, um den eigenen Körper in seiner Ausgeprägtheit zu erleben und zu erspüren sowie die eigenen Möglichkeiten zu erkennen. Das Angebot trägt damit zu Teilhabe und zu einer Erhöhung der Lebensqualität dieses Personenkreises bei. In der Seniorentagesstätte werden die Personen, die aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind, tagsüber begleitet. Sie steht den BewohnerInnen des EVS ebenso offen, wie den SeniorInnen, die noch zu Hause bei ihren Geschwistern leben.

Text: Gabriele Heigl
 
 Ein Foto aus der Zeit um 1940, Blick von Norden. Der Turm am Zugang zum Hauptportal steht noch. Foto: Archiv/EVS 
 
 Und heute, von der Südseite aufgenommen. Dachluken und Fenster sind unverkennbar dieselben. Lediglich die Anbauten rechts und die Balkone kamen später hinzu.