zurück zur Übersicht

18.05.2021 - "Es geht auch darum, gemeinsam eine knifflige Aufgabe zu bewältigen"


Bei den Ambulanten Erziehungshilfen in der Fürstenrieder Straße in München hilft der Sozialpädagoge Alexander Weindl (29) Kindern und Jugendlichen dabei, mit Konflikten besser umzugehen - indem er sie Computerspiele spielen lässt. Hier äußert er sich im Interview.

Eine Jugendliche beim Videospiel in den Räumen in der Fürstenrieder Straße. Foto: SBW-Flexible Hilfen/KJF
Wie kamen Sie auf diese Idee?

Alexander Weindl: Computerspiele nehmen im Leben von Kindern und Jugendlichen einen wichtigen Platz ein. Sie gehören zu ihrer Lebenswirklichkeit. Es macht keinen Sinn, das zu ignorieren. Auch die Corona-Situation spielte eine Rolle. Ich wollte, dass Kinder in einem sicheren Setting miteinander agieren können. 

Worum handelt es sich bei dem Projekt?

Beim Computerspiel sind die Betreuten die Entscheidungsträger, die Erwachsenen begleiten sie nur. Es ist aufschlussreich zu beobachten, wie die Kinder und Jugendlichen spielen, etwa aggressionsgeladen oder gehemmt. Geben sie gern Kommandos und agieren sie lieber als Team?

Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Projekt?

Da ist zum einen die Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit, die durch den Austausch über das Spiel erreicht wird. Wenn es zu Konflikten unter den Spielenden kommt, können diese - anders als beim Spielen zuhause - pädagogisch betreut und begleitet werden. Auch die Kommunikation über Gefühle wird erleichtert, etwa indem die Spielenden gefragt werden, wie es den Protagonisten des Spiels wohl gerade geht. Beim Spiel in der Gruppe soll auch die Teamfähigkeit gestärkt werden.
 

Alexander Weindl, der Leiter des Projekts Videospiel. Foto: privat
Die Videospiel-Ausstattung steht allen Ambulanten Erziehungshilfen-Teams von München-Stadt und auch den beiden Kooperationspartnern Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) und Erziehungshilfe Mün-chen (EHM) zur Verfügung. Die Ausstattung des Projektes konnte über das klientenbezogene "flexible Budget" im Rahmen der Sozialen Gruppenarbeit finanziert werden. Aktuell können die Geräte coronabedingt immer nur von den Kindern und Jugendlichen eines Haushalts sowie einer/m BetreuerIn genutzt werden. Es handelt sich um einen 50-Zoll-QLED-Fernseher, eine Nintendo Switch und eine Playstation 5.

Wahrscheinlich haben überwiegend die Jungs die Konsole in der Hand?

Das ist ein Irrtum. Die Mädchen spielen genauso gern wie die Jungs. Und da es beim Videospiel nicht auf Muskelkraft ankommt, können Geschlechterunterschiede anders als beim Sport relativiert werden.

Überall ist zu hören, dass Jugendliche zu viel online sind und spielen. Mit diesem Angebot noch mehr?
 
Das ist ein weiteres wichtiges Ziel des Projekts, die Betreuten zu einem vernünftigen Medienkonsum anzuhalten. Das gelingt beispielsweise, indem das Setting vorher abgesprochen wird. Nach dem Motto, jetzt spielen wir eine Stunde und dann machen wir was Anderes zusammen. Darüber hinaus spielen die Jugendlichen zuhause oft allein. In unserem Projekt kann beim Spielen in der Gruppe ein Gemeinschaftsgefühl entstehen. Es geht dann auch darum, gemeinsam eine knifflige Aufgabe zu bewältigen.

Verstehen Sie die Vorbehalte, die unter Erwachsenen gegen Computerspiele herrschen?

Leider werden Videospiele oft verteufelt. Dabei wird übersehen, dass ihr Einsatz, wie ich erläutert habe, im pädagogischen Kontext sinnvoll sein kann. Außerdem stärkt es das Selbstwertgefühl der Jugendlichen, die in diesem Bereich den meisten Erwachsenen etwas voraushaben.

Interview: Gabriele Heigl, KJF-Pressesprecherin
Aus pädagogischen Gründen geboten

"Ich möchte kein leidenschaftliches Plädoyer für Computerspiele halten, aber Verständnis für eine 'Gegenseite' wecken, die positive Entwicklungsaspekte an Computerspielen nicht wahrnehmen will. Es sollte einen Diskurs darüber geben, ob es nicht an der Zeit wäre, die eigenen anachronistischen und eingefahrenen Schlussfolgerungen aufzudröseln, genauer zu betrachten und eventuell zu ändern. Ich bin ein Verfechter des Mittelweges, der nie nur eine Seite sehen will. Daher bin ich froh, dass wir uns als AEH-Team in Hadern dazu entschlossen haben, ein Konzept dafür zu entwickeln, wie wir Computerspiele in unserer pädagogischen Arbeit nutzen können."

Text: Alexander Weindl, Sozialpädagoge bei SBW-Flexible Hilfen. Derzeit in weiterer Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichen-Therapeuten mit Schwerpunkt Tiefenpsychologie und Psychoanalytik