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21.12.2022 - Erinnerungen an die Ruhpoldinger Lungenheilstätte von 1946


Franziska Rosner erinnert sich an ihren Aufenthalt in der Lungenheilstätte St. Josefsheim in Ruhpolding, einer früheren Einrichtung unseres KiZ - Kind im Zentrum Chiemgau in Aschau. 1946/1947 hat sie hier zusammen mit ihrem Bruder eine Zeitlang verbracht. Und sie erinnert sich sehr gerne.

Die Geschwister Franzi und Peter waren von 1946 bis 1947 in der Lungenheilstätte St. Josefsheim in Ruhpolding. Alle Fotos: privat 
 

Die Geschwister heute anlässlich des 85. Geburtstag von Franziska Rosner im Juli 2022.
Vor Kurzem traf ein Brief bei der KJF ein. Annette Wagner aus Nürnberg hatte ihn an uns geschickt. Darin heißt es: "Im Mai 2022 war meine Mutter Franziska Rosner nach 75 Jahren als 85-Jährige wieder in Ruhpolding und wollte mit ihrem Bruder die schönen Erinnerungen an diese Zeit wieder aufleben lassen." Franziska Rosner hatte als Achtjährige 1946/47 zusammen mit ihrem vier Jahre alten Bruder eine Zeit in der damaligen Lungenheilstätte Josefsheim in Ruhpolding verbracht. Beide hatten sich mit Lungen-Tuberkulose angesteckt. Dem Brief von Annette Wagner lagen ein längeres Schreiben ihrer Mutter sowie Fotos und das kleine mit Zeichnungen versehene Heftchen "Weihnachten 1946" von Franziska Rosner bei. Annette Wagner verband ihre Schilderung mit dem Wunsch ihrer Mutter, die Unterlagen früheren Schwestern des Josefsheims - so sie noch leben sollten - zukommen zu lassen. Diesem Wunsch hätten wir gerne entsprochen, indes gelang es uns nicht, noch jemanden zu finden. Franziska Rosner willigte aber ein, ihre Erinnerungen hier zu teilen.

In dem Schreiben schildert Franziska Rosner, wie es war, 2022 einmal wieder in Ruhpolding gewesen zu sein, und auf den Spuren von damals zu wandeln (den gesamten Text lesen Sie unten). Unter Verweis auf ihr Weihnachtsheftchen, das sie 2006 geschrieben hatte, schreibt sie: "2006 habe ich die Erlebnisse aus dieser Zeit aufgeschrieben (nach 60 Jahren!). Der Grund war auch, dass in den Medien Berichte über Misshandlungen in Kinderheimen geschrieben worden sind. Es mag ja sein, dass es solche Vorkommnisse gab. Aber über die gut geführten Heime wurde nichts berichtet."

Das Deckblatt des Weihnachtsheftchens.
 

Die Kinderzeichnungen darin sind besonders zu Herzen gehend.
Das Schreiben von Franziska Rosner

Für die Schwestern des ehemaligen St. Josefsheim und St. Anna-Haus in Ruhpolding.
Schon lange war in mir der Wunsch, noch einmal nach Ruhpolding zu fahren, um das Josefsheim zu besuchen, in dem ich von Dezember 1946 bis Mai 1947, damals Lungenheilstätte, als Achtjährige war. Mein Bruder mit vier Jahren war im gegenüberliegenden St. Anna-Haus. Da er am 25. Mai 2022 81 Jahre alt wurde, wählten wir diesen Termin für diese Reise in die Vergangenheit. Wegen Corona konnten wir 2021 nicht fahren. Noch am Freitag, den 20. Mai 2022, erlitt mein Bruder einen Schlaganfall und kam ins Krankenhaus. Da die Ferienwohnung schon gebucht war, und sie in dieser kurzen Zeit nicht weiter vermietet werden konnte, fuhr ich alleine mit meiner Tochter am Sonntag, den 22. Mai, nach Ruhpolding. (Mein Bruder hatte sich Gott sei Dank wieder erholt und wurde am 25. Mai, seinem 81. Geburtstag, wieder nach Hause entlassen.)

Wohlbehalten sind wir in Ruhpolding angekommen und erwarteten voller Spannung den nächsten Tag. Der Einfahrtsweg mit den hohen Bäumen war noch unverändert da. Ebenso rechts die Wiese, auf der damals eine überdachte Liegeterrasse stand. Aber die ehemaligen Häuser sind abgerissen, und es ist eine Großbaustelle. Am gegenüberliegenden ehemaligen St. Anna-Haus steht eine große Seniorenresidenz. Ich war zwar etwas enttäuscht, aber nach so vielen Jahren war es zu erwarten, dass sich bauliche Veränderungen ergeben. In meinem Kopf habe ich ja noch alles aus früheren Zeiten gespeichert.

Wir haben uns lange mit einem über 80-jährigen Ruhpoldinger unterhalten, der gerade des Weges kam und noch alles von früher wusste. Der Weg zur Kirche hinauf ist noch unverändert mit weiten Blick ins Tal hinunter, und ich habe ihn trotz meiner 85 Jahre mit dem Rollator hoch geschafft. Meine Tochter hat zum Teil den Rollator mit einem Tuch vorne gezogen. In der Kirche, die wir damals regelmäßig an Sonn- und Feiertagen besuchten, saß ich wieder in meiner alten Bank.

2006 habe ich die Erlebnisse aus dieser Zeit aufgeschrieben (nach 60 Jahren!). Der Grund war auch, dass in den Medien Berichte über Misshandlungen in Kinderheimen geschrieben worden sind. Es mag ja sein, dass es solche Vorkommnisse gab. Aber über die gut geführten Heime wurde nichts berichtet. In "unserem" Ruhpoldinger Erholungsheim habe ich nichts bemerkt. Die Schwestern waren alle sehr fürsorglich und einfühlsam. Wir waren ja alle zum Teil traumatisierte Kriegskinder. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals ein böses Wort gefallen ist. Wenn bei manchen Heimweh-Tränen flossen, wurden sie liebevoll getröstet. Sie waren alle sehr um unser geistiges, leibliches und seelisches Wohl bedacht."
Am Telefon berichtet Annette Wagner noch, dass ihre Mutter immer wieder die Geschichte mit dem Schinken aus Irland erzählte. Diese geht so: Kurz vor Weihnachten 1946 kam ein großer, prächtiger Schinken im St. Josefsheim an - aus dem fernen Irland. Das war vor allem deswegen eine Sensation, weil diese Jahre schreckliche Hungerjahre in Deutschland waren. Die Josefsheim-Schwestern gaben den ganzen Schinken den Kindern, behielten nichts für sich selbst und hatten nur eine Bitte: Vor dem Essen sollten die Kinder die Spender in ihr Gebet einschließen.

Franziska Rosners Vorwort zu ihrem Weihnachtsheftchen liest man heute auch noch ganz anders als im Jahr 2006, als sie es geschrieben hat. Nachfolgend lesen Sie es im gesamten Wortlaut.

Text: Gabriele Heigl, KJF-Pressesprecherin
 
Das Vorwort von Franziska Rosners Ruhpolding-Weihnachtserinnerungen

"Damals war es Weihnachten in Ruhpolding 
Vor 60 Jahren war eine ganz andere Zeit. Der Krieg war seit einem Jahr zu Ende. Jetzt war Frieden im Land. Die Fliegerangriffe sowie das tägliche Bunkerlaufen, waren vorbei. Man konnte in der Nacht wieder durchschlafen. Das Verdunkeln der Fenster sowie das Fehlen der Straßenbeleuchtung gehörten der Vergangenheit an. Jetzt war alles wieder hell und freundlich, die Menschen fassten langsam wieder Mut. 

Die vielen Flüchtlinge, Heimatvertriebenen und Ausgebombten fingen an, sich allmählich mit ihrem Schicksal abzufinden. Es ging jetzt ums Überleben und darum, einen Neuanfang zu starten. 

Noch waren viele Familien auseinandergerissen, und man wartete auf ein Lebenszeichen des vermissten Mannes, Vaters oder Sohnes. Auch unser Vater war noch vermisst. Es gab immer noch Lebensmittelkarten. Die Städte lagen in Trümmern, die Wohnungsnot war groß, ebenso der Hunger. 

Wir, das waren meine Mutter mit 36 Jahren, ich mit acht und mein Bruder mit vier Jahren, wurden im Mai 1946 in ein kleines Dorf nach Unterfranken evakuiert, wo wir wieder Geborgenheit, Zuversicht und Heimatgefühl bekamen."

"Sommer 1947 - wieder zuhause ..."
Franzi ist neun, Bruder Peter fünf Jahre alt. Auf der Rückseite steht: "Im Nachbarhaus wohnte ein Fotograf, wir hatten uns fotografieren lassen und das Bild unserer Mutter zum Muttertag geschenkt."
Im November 2018 berichtete das "Traunsteiner Tagblatt" über das ehemalige Kinderheim St. Josef in Ruhpolding.

Josefsheim in Ruhpolding soll als Wohngebäude neu errichtet werden
Mit den baulichen Maßnahmen am Kinderheim St. Josef beschäftigte sich der Bauausschuss in seiner jüngsten Sitzung. Dabei wurden der Abbruch und Neubau des westlichen Gebäudes sowie die Umnutzung und Sanierung des östlichen Gebäudes in Erwägung gezogen. Nach ausgiebiger Diskussion wurde für den Vorbescheid das gemeindliche Einvernehmen mehrheitlich erteilt.

1940 kaufte die Bischöfliche Finanzkammer das damalige Arzthaus und vermietete es dem Kinderheim St. Anna zur Nutzung. 1943 wurde dieses Gebäude in Josefsheim umbenannt und diente als Erholungsheim für tuberkulöse Mädchen. 1970 wurde das Heim von den Barmherzigen Schwestern übernommen und 1972 nach einem erneuten Umbau zu einem damals modernen Kindererholungsheim mit Hallenbad fertiggestellt. Nachdem die Nutzung als Kindererholungsheim nicht mehr notwendig war, hat die Katholische Jugendfürsorge die Vermietung und Betreuung dem Verkehrs- und Kulturverein als Schülerherberge überlassen, ehe vor nicht allzu langer Zeit das Wohnbauwerk der Gemeinde das Areal kaufte.

Derzeit stehen beide Gebäude leer. Wie dem Antrag auf Vorbescheid zu entnehmen ist, wird ein Abbruch und Neubau des eigentlichen Josefsheims in Betracht gezogen; eine Umnutzung und Sanierung des daneben befindlichen Gebäudes für Zwei- bis Vierzimmerwohnungen ist ebenfalls vorgesehen, erklärte Bauamtsleiter Hans Hechenbichler. Das Dach des Neubaus soll als Zeltdach mit Verbindungsbau ausgebildet und für beide Wohngebäude eine gemeinsame Tiefgarage unter dem Neubau errichtet werden. In einer Stellungnahme von Ortsplaner Jochen Gronle werden die Baumaßnahmen ausdrücklich befürwortet. 
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