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10.05.2021 - Den Kindern ein gutes Beispiel sein


Corona hat auch im Hort an der Kammergasse unserer Einrichtung Jugendhilfe Nord in Freising für neue Herausforderungen gesorgt und dort seine Spuren hinterlassen. Der richtige Weg im Sinne der Kinder, der Eltern und der Mitarbeitenden muss immer neu ausgelotet werden. Hortleiterin Kristin Koch und Erzieherin Tami Schlott erzählen, wie ihnen das gelingt.

Kristin Koch (links) und Tami Schlott im Hort an der Kammergasse. Alle Fotos: Jugendhilfe Nord/KJF
Tami Schlott (24), seit zwei Jahren als Erzieherin als Zweitkraft im Hort an der Kammergasse:
Von unseren 44 Hortkindern betreuen wir derzeit 15 bis 20 Kinder in zwei festen Gruppen in der Notbetreuung. Wir Erzieherinnen und die Kinder tragen meist dauerhaft den Mund-Nasen-Schutz, und es gibt die üblichen Corona-Regeln und Hygienemaßnahmen. Momentan kann das teiloffene Konzept, das im Regelbetrieb normalerweise umgesetzt wird, nicht durchgeführt werden, da die Kinder zur Kontaktbeschränkung in kleine und feste Gruppen eingeteilt sind. Normalerweise trennen sich unsere Gruppen nur zum Mittagessen und dem anschließenden Mittagskreis. 

Diese Gemeinschaft zu leben und erleben ist uns sehr wichtig. Leider können wir diese momentan nicht so gestalten, wie wir es gerne hätten. Außerdem gehört zu unserem pädagogischen Konzept, die Kindern Selbstständigkeit und Selbstbestimmung zu lehren, wie beispielsweise sich eigenständig das Essen und Getränke zu nehmen, oder zu wählen, mit wem sie wo und wann was spielen. Somit kommt die pädagogische Arbeit in den Corona-geprägten Zeiten oftmals zu kurz. Die Selbstbestimmung der Kinder kann momentan nicht mehr so gelebt werden, wie wir es uns alle wünschen würden, um die Kinder allmählich zu selbstständigen, verantwortungsbewussten und selbstbewussten Persönlichkeiten heranzuführen.
 

Spielen an der frischen Luft und mit viel Schnee - wenigstens das war trotz vieler Einschränkungen durch Corona möglich.
 
Überforderung der Kinder zu spüren

Das Homeschooling ist für alle eine große Belastung. Obwohl wir jetzt weniger Kinder betreuen, benötigen wir mehr Zeit und Energie für die Hausaufgabenunterstützung als zu normalen Zeiten. Jeden Tag arbeiten wir uns wieder neu in die Arbeitspläne ein. Insbesondere die jüngeren Kinder sind mit den Wochenplänen überfordert und können es noch nicht leisten, sich selbstständig zu organisieren und den Überblick über die gestellten Aufgaben zu bekommen. 

Es bleibt nicht viel Zeit, um noch besondere Dinge mit den Kindern in der Freizeit zu gestalten. Auch Feste, Ausflüge und Vieles mehr finden derzeit – wenn überhaupt – nur in abgespeckter Form statt. Der Kontakt zu den Eltern ist auf das Nötigste begrenzt. Wir haben andere Formen gefunden (E-Mail-Kontakt, Telefonate), um wichtige Gespräche zu führen. Trotzdem hoffen wir darauf, so bald wie möglich wieder persönliche Gespräche mit Eltern durchführen zu können, da eine Bildungs- und Erziehungspartnerschaft sehr wichtig für unsere pädagogisch professionelle Arbeit ist. Das persönliche Gespräch ist auf Dauer in unserem Arbeitsbereich nicht durch den Medieneinsatz zu kompensieren.

Die Kinder, die hier sind, freuen sich, mit den anderen Kindern spielen und sich austauschen zu können und genießen dies nach langer Isolation. Trotzdem können wir bemerken, dass eine gewisse Anspannung vorhanden ist. Auch wir Erzieherinnen genießen es, ausnahmsweise eine kleinere Gruppe zu betreuen. Wir merken, dass wir viel mehr Zeit haben, auf das einzelne Kind einzugehen, was auch den Kindern sehr guttut (familiärer Charakter vor allem beim Mittagessen). Insgesamt haben wir uns schon fast an den Corona-Alltag gewöhnt. Wir Erzieherinnen sind froh, dass die KJF uns nötiges Rüstzeug, wie Einmalmasken, FFP2-Masken, CO2-Geräte und andere Hygieneartikel, die nötig sind, zur Verfügung stellt und wir arbeiten DÜRFEN und nicht in Kurzarbeit müssen.
 

Kristin Koch (48), seit drei Jahren Hortleitung im Hort an der Kammergasse:
Unser Team umfasst fünf bis sechs Mitarbeiterinnen. In unseren Hortleitergesprächen schauen wir gemeinsam, in welchen der Einrichtungen welche Aufgaben anfallen und wo gegebenenfalls Personal fehlt. Wir helfen uns gegenseitig aus. Derzeit leihen die Horte Personal an das Kinderheim aus, da die Kinder vom dortigen Personal nicht 24 Stunden durchgehend betreut werden können. Auch Tami Schlott ist an zwei Vormittagen dort im Einsatz.


Der Austausch zwischen den Hortleitungen läuft sehr gut und konstruktiv – ebenso mit unserer Bereichsleitung Bernadette Baufeld und der Gesamtleitung. Wir unterstützen uns gegenseitig und geben uns in dieser herausfordernden Zeit Halt und Stabilität. Ich persönlich begreife diese Zeit auch als Chance, mich mehr mit den digitalen Medien auseinander zu setzen. Beispielsweise beschäftigen wir uns aktuell mit der Grundschul-Plattform IServ, um die Kinder bestmöglich bei den Hausaufgaben zu unterstützen, aber auch um die Konversation zwischen Kindern/Eltern, Schule und Hort zu vereinfachen. Diese neue Art der Vernetzung ist eine große Bereicherung für alle Beteiligten.

Der Druck hat für mich als Leitung im zweiten Lockdown im Vergleich zum ersten im Frühjahr 2020 zugenommen. Ich muss und möchte den Spagat zwischen den Kindern, den Eltern, den Mitarbeiterinnen und dem Träger hinbekommen. Dabei beschäftige ich mich mit Fragen wie: Werden wir den Kindern in der Notbetreuung gerecht? Wie lassen wir diejenigen, die nicht in der Notbetreuung sind, teilhaben, sodass sich der Kontakt zum Einzelnen nicht ganz verliert? Kann ich weiterhin Mitarbeiterinnen an andere Einrichtungen abgeben, wie steht es mit meiner Solidarität? Wie geht es den ausgeliehenen Mitarbeiterinnen? Wie zufrieden sind die Eltern mit unserer Betreuung und den Informationen, welche sie von uns bekommen?

Sternesammeln im Lesepass – individuelle Lernförderung in Zeiten von Corona.
 
Kleinere Gruppen als Chance

Hinzu kommt ein großer bürokratischer Aufwand. Die Behörden schicken uns regelmäßig neue Informationen, die wir in unserer täglichen Arbeit umsetzen sollen. Vonseiten des Trägers fühlen sich unsere Mitarbeiterinnen und ich gut unterstützt. Wir werden mit unseren Sorgen, Ängsten und sonstigen Fragen und Anliegen ernst genommen und – wo möglich – auch bestens unterstützt. Die Eltern tun, was sie können, sind aber mit der Mehrfachbelastung (Berufstätigkeit, Homeschooling, Haushalt) ebenso wie ihre Kinder zunehmend überfordert und überlastet. Wir nutzen die kleinere Gruppe als Chance, den Kindern im Moment größere und individuellere Lernmöglichkeiten und Unterstützung zu bieten, als es im eigentlichen Hortalltag oft möglich ist.

Wir versuchen das Beste aus der Situation zu machen. Das Team ist den Kindern ein gutes Vorbild und beschwert sich nicht die ganze Zeit über die Umstände, das Maskentragen, den Verzicht auf viele lieb gewonnene Dinge, die wir derzeit entbehren müssen. Wir versuchen, uns mit der Situation zu arrangieren und eine gewisse Lockerheit in die Gruppen zu bringen und können feststellen, dass sich unsere Haltung in dem Verhalten der Kinder widerspiegelt. Das Thema Corona ist stets präsent, in den Familien, Schulen, Einrichtungen, Medien. Wir lassen das Thema zwar nicht unter den Tisch fallen, aber wir geben ihm auch nicht zu viel Raum im Hortalltag. Die Kinder sollen sich mit unserer Unterstützung und Anteilnahme so viel wie nötig mit diesem Thema befassen können. Es soll jedoch auch ein Leben neben Corona stattfinden können – möglichst frei von Belastungen, Sorgen und Ängsten.

Jede Herausforderung hat auch positive Seiten. Wir besinnen uns alle wieder auf das, was im Leben wirklich zählt, auf das, worauf es ankommt im Leben und schätzen dies mehr und bewusster als bisher, als wir vieles als selbstverständlich genommen haben (zum Beispiel Ausflüge, Besuche ins Schwimmbad). Die Erkenntnis: Soziale Kontakte zählen zu den wichtigsten Dingen für den Menschen. Der Konsum muss nicht sein, aber mitmenschliche Kontakte brauchen wir.